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18.04.2024

Pressemitteilung PRO BAHN Baden Württemberg

Nach 30 Jahren Streit um Stuttgart 21: Kombibahnhof als vernünftigen Kompromiss umsetzen

Das Projekt Stuttgart 21 beschäftigt den unabhängigen Fahrgastverband PRO BAHN schon seit seiner Vorstellung vor genau 30 Jahren[1]. PRO BAHN war gegenüber dem Projekt von Anfang an kritisch eingestellt und hat sich lange für die alternative Lösung eines modernisierten Kopfbahnhofs eingesetzt. Parallel hat unser Verband aber auch in Planfeststellungsverfahren und mit Stellungnahmen immer wieder Verbesserungen an der von den Projektpartnern verfolgten Lösung eines unterirdischen Tiefbahnhofs vorgeschlagen, die zum Teil auch umgesetzt wurden.

Das Projekt nähert sich nun nach jahrelanger Verzögerung und einer Kostenexplosion allmählich der Fertigstellung. Die DB AG wird den Tiefbahnhof aber zunächst nur teilweise in Betrieb nehmen und weiterhin Züge im alten Kopfbahnhof halten lassen, bis der digitale Knoten vollständig in Betrieb genommen werden kann.

Diese stufenweise Inbetriebnahme begrüßen wir ausdrücklich. Die neu geschaffene Bahninfrastruktur darf nicht brachliegen und die Fahrgäste sollen so früh wie möglich von den schnellen Verbindungen durch die Neubaustrecke profitieren. Auch steht dadurch bei Störungen eine Rückfallebene zur Verfügung. Übergangsweise wird nun ein Kombibahnhof realisiert, wie ihn unser Verband schon 2012 nach dem Volksentscheid und der endgültigen Entscheidung für den Bau vorgeschlagen hat[2].

Für die Verbindung der Landeshauptstadt mit den südlichen Landesteilen und der Schweiz über die Gäubahn ist dadurch aber nur wenig gewonnen, denn auch nach aktualisierter Planung soll die Strecke ab Sommer 2026 immer noch für mindestens sechseinhalb Jahre zwischen dem Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen gekappt werden. Den Fahrgästen soll auf diesem Abschnitt ein Umstieg auf häufig vollbesetzte und unzuverlässige S-Bahnen ohne genügend Platz für Gepäck zugemutet werden, der mit weiten Fußwegen und mühsamen Bahnsteigwechseln verbunden ist.

Das am 12.4.2024 vorgestellte Kompensationspaket des Landesverkehrsministeriums kann hier allenfalls punktuell für Verbesserungen sorgen, birgt aber gleichzeitig das Risiko, dass sich die Betriebsqualität auf der Gäubahn noch weiter verschlechtert. Eine Eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchung dieses Konzepts, die von der DB durchgeführt wurde, kommt nämlich zum Ergebnis, dass „die Verkehre auf der Gäubahn teilweise mangelhafte Betriebsqualität aufweisen“[3].

Der Bau des 11 km langen Pfaffensteigtunnels, der die Gäubahn zukünftig über den Flughafen an den Tiefbahnhof anbinden soll, dauert selbst unter günstigsten Voraussetzungen mindestens bis Dezember 2032. Das erfordert ein Rekordtempo bei der Planfeststellung, denn schon in zwei Jahren muss mit dem Bau begonnen werden. Auch fehlt bislang ein Finanzierungsbeschluss. Das könnte eine große Hürde darstellen, denn der Bund hat jüngst das Budget für den Schienenausbau gekürzt und der Sanierung des bestehenden Bahnnetzes Vorrang vor Neubauten eingeräumt. Daher sind Zeitplan und die rechtzeitige Mittelbereitstellung für dieses aufwändige Projekt mit großen Fragezeichen versehen. Alles deutet darauf hin, dass die Gäubahn noch viel länger vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgekoppelt bleiben wird.

Mit jüngsten Äußerungen des Landesverkehrsministeriums, dass sich eine Renovierung der Strecke für einen Interimsbetrieb zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Nordbahnhof nicht mehr lohnen würde, wird jetzt auch noch der Erhalt der Panoramabahn zwischen dem Nordbahnhof und Stuttgart-Vaihingen in Frage gestellt. Wenn dort jahrelang keine Züge mehr fahren, droht die Strecke in einen Dornröschenschlaf zu fallen. Noch vor einem Jahr wurden vom gleichen Ministerium Pläne vorgestellt[4], in denen die Panoramabahn als Teil eines sogenannten Nahverkehrsdreiecks eine wichtige Rolle bei der Entlastung des Tiefbahnhofs spielen sollte. Nun könnte sich das Nahverkehrsdreieck als Luftschloss erweisen.

Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert deshalb die Projektpartner auf, die Teilinbetriebnahme von Stuttgart 21 mit einem zeitweisen Kombibetrieb nicht auf eine Nutzungsdauer von etwa einem Jahr zu beschränken, sondern vielmehr als Chance zu begreifen, weiterhin Direktverbindungen über die Gäubahn aufrechtzuerhalten und die Kapazität des Tiefbahnhofs zu erweitern.

Dass die Erhaltung von Gleisen für die Gäubahn ohne größeren technischen Aufwand möglich ist, haben unabhängige Gutachten beim Faktencheck der Interessengemeinschaft Gäu-Neckar-Bodenseebahn[5] und sogar ein bis heute unveröffentlichtes Gutachten der DB gezeigt. Auch der Engpass im Nordzulauf von Feuerbach in den Tiefbahnhof, für den es mit der sogenannten P-Option ebenfalls schon Ausbaupläne gibt, kann damit aufgelöst werden. Der Weiterbetrieb der oberirdischen Gleise soll so lange erfolgen, bis die entsprechenden Ergänzungsprojekte von Stuttgart 21 fertiggestellt sind. Die Investitionen dafür halten sich in Grenzen und müssen zum Großteil ohnehin für die Teilinbetriebnahme getätigt werden.

Nur so kann Stuttgart 21 am Ende doch noch die Leistung bringen, die für eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 notwendig ist. Die Fahrgäste erwarten nach jahrelangen Entbehrungen während der Bauzeit einen funktionsfähigen Bahnhof mit guten Anschlüssen in alle Richtungen und keine endlose Hängepartie bei der Gäubahn als wichtiger europäischer Magistrale in den Süden.

[1] Die öffentliche Vorstellung des Projekts fand am 18.04.1994 statt:
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.vorstellung-von-stuttgart-21-vor-25-jahren-kein-superlativ-ist-uebertrieben.21181dac-a894-4e25-bcbd-01354349c25f.html
[2] https://www.pro-bahn-bw.de/rvregionstuttgart/presse_rv/rv_12/121209_pm_chancen.pdf
[3] https://region-stuttgart.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZYlLCMcm_3M2gGRTS6hmsD5pAKPwGKNzj6AIN02M8hFB/Ergebnisbericht_EBWU_DB_Netz_AG.pdf
[4] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/schienenknoten-stuttgart-zukunftsfaehig-machen-1
[5] Ramboll GmbH: Plausibilitätsprüfung der technischen Aussagen zum Weiterbetrieb der bisherigen Bahnanlagen bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof, Juli 2023, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/814082a1285a2dbf8ae71a2b9e74de89234084/Ramboll_GmbH_Gutachten_-_G_ubahn_Plausibilisierung_der_Aussagen.pdf

Kontakt:
Dr. Wolfgang Staiger, PRO BAHN Regionalverband Region Stuttgart, wolfgang.staiger@pro-bahn-bw.de, Tel. 0172 7656463
Joachim Barth, PRO BAHN Landesverband Baden-Württemberg, j.barth@pro-bahn-bw.de, Tel. 0160 94812323

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letzte Aktualisierung: 11/2024